header

Ackermoose im Schweizer Mittelland: Landwirtschaftliche Intensivierung, ökologischer Leistungsnachweis, Biodiversitätsförderung und drei Jahrzehnte Monitoring

Irene Bisang1,3; Luc Lienhard2; und Ariel Bergamini3,*;

Was wir wissen - Hintergrund

Die Landnutzung durch den Menschen während mehreren Tausend Jahren hat in Europa, wie in der Schweiz, ein vielfältiges Mosaik von Landschaften und Biotopen geschaffen. Zahlreiche Organismen haben sich an die unterschiedlichen Lebensräume angepasst. So beherbergen extensiv bewirtschaftete und kleinräumige Äcker eine reiche und charakteristische Begleitflora. Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung und strukturelle Veränderungen seit dem zweiten Weltkrieg führten dazu, dass viele typische und einst weit verbreitete Ackerbegleitarten heute zu den am stärksten gefährdeten Pflanzen gehören. So auch die Ackermoose (Hodgetts et al. 2019). In der Schweiz sind etwa zwanzig Arten auf offenerdige, lückige und regelmässig gepflügte Äcker spezialisiert, und rund ein Drittel davon sind gefährdet (Bisang et al. 2021a). Typische Ackermoose sind kurzlebig (ein bis wenige Jahre) und konkurrenzschwach. Sie bilden oft und rasch zahlreiche Sporen oder Brutkörper, die im Boden mehrere Jahre überdauern können (Bisang 1996, Bisang et al., 2009). In Getreide-Stoppelfeldern, die nach der Ente bis zum Spätherbst brach und unbearbeitet verbleiben oder gar bis zur Frühjahrs-Saat überwintern, können sich viele Ackermoose optimal entwickeln.

Um den Artenverlust im Landwirtschaftsland zu stoppen und eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion zu fördern, wurde in der Schweiz in den 1990er Jahren der Ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) eingeführt. Die Vorgaben des ÖLN im Ackerbau regeln unter anderem Fruchtfolge, Bodenschutz, Pestizidanwendung, Düngerbilanz, und die Anlage der Biodiversitätsförderflächen (BFF), wie Säume auf Ackerflächen, Ackerschonstreifen, Blühstreifen, Rotations- und Buntbrachen (Schweizerischer Bundesrat 2021). Die Bewirtschaftenden werden für vertraglich festgelegte Massnahmen zur umweltfreundlichen und artenfördernden Nutzung entschädigt.


Abb. 1. Schwarzhornmoos (Anthoceros agrestis), Gelbhornmoos (Phaeoceros carolinianus) und ein Sternlebermoos (Riccia sorocarpa) an einem Ackerrand

Das Acker-Schwarzhornmoos und das Gelbhornmoos sind typische Ackermoos-Spezialisten (Anthoceros agrestis, Phaeoceros carolinianus; Abb. 1, 2; Swissbryophytes 2004-2021). Es sind die einzigen Hornmoose, die im Schweizer Mittelland vorkommen, und sie sind charakteristische Vertreter der Ackermoosflora auch in anderen Gegenden Mitteleuropas. Die Anbaumethoden spielen eine entscheidende Rolle für ihr Auftreten (Bisang 1998). Die Hornmoose nahmen, wie andere Arten der Ackerbegleitflora, im Laufe des 20. Jahrhunderts ab (Bisang 1992). In den "Umweltzielen Landwirtschaft" ist A. agrestis eine Leitart. Phaeoceros carolinianus ist eine Zielart und ausserdem schweizweit geschützt (BAFU 2019; BAFU & BLW 2016; NHV 2015). In der Roten Liste der Moose der Schweiz ist P. carolinianus als "stark gefährdet" eingestuft. Die Beurteilung für die neue Rote Liste zeigte, dass auch A. agrestis in der Schweiz gefährdet ist (Schnyder et al. 2004; Kiebacher, pers. Mitt.).


Abb. 2. Gelbhornmoos (Phaeoceros carolinianus) mit jungen Sporophyten

 

Was wir untersucht haben - Ergebnisse

Wir untersuchten, wie Ackermoose im Schweizer Mittelland auf die landwirtschaftliche Bewirtschaftung und die Einführung der ÖLN-Massnahmen reagieren, wie weit sie in bestehenden BFF vorkommen und wie das Wetter ihre Vorkommen beeinflusst.

Während nahezu drei Jahrzehnten erhoben wir regelmässig die Hornmoose im Schweizer Mittelland. Dieses "Hornmoos-Monitoring" führten wir in 28 ausgewählten Äckern während drei Erhebungsperioden (1991–1995, 2005–2007, 2016–2018) jährlich jeweils im Herbst durch. Wir verglichen die Hornmoos-Vorkommen mit regionalen Wetterdaten. Schliesslich untersuchten wir die Ackermoosflora und den Vorrat von Sporen und Brutkörpern im Boden in verschiedenen BFF-Elementen des Ackerbaus.

Die Hornmoos-Vorkommen nahmen in den letzten 30 Jahren weiter deutlich ab. Wir konnten diesen Rückgang vor allem darauf zurückführen, dass geeignete Habitate selten geworden sind. Stoppelfelder, die nach der Ernte bis zum Spätherbst unbearbeitet belassen werden, sind im Mittelland kaum mehr anzutreffen (Bisang et al 2021; Abb. 3). Ein Hauptgrund liegt in der Änderung der Bodenschutzauflagen des ÖLN. Diese verlangen seit 2005, dass kurz nach der Ernte eine Zwischenfrucht, oder zeitig die Winterfrucht, anbaut wird, um Erosion und Nährstoff-Auswaschung im Ackerland zu verhindern. Weiter ermöglicht die Entwicklung neuer Getreidesorten heute eine frühere Ernte. Schliesslich nahm in der Schweiz im Laufe der Untersuchungsperiode die Anbaufläche von Getreide um einen Drittel ab (BLW 2020). Die niederschlagsarmen Sommer, die im Mittelland im Zuge der Klimaerwärmung häufiger werden, wirken sich zusätzlich negativ auf die Entwicklung von Ackermoos-Spezialisten aus.

Die BFF-Elemente im Ackerbau wurden bis anhin zur Förderung von Blütenpflanzen, Brutvögeln, Insekten oder Ökosystemleistungen angelegt. Könnten diese für die typische Ackermoosflora im Mittelland geeignete Ersatzstandorte bieten? Tatsächlich konnten wir in verschiedenen Typen von BFF Ackermoose nachweisen, darunter auch Arten aus der Roten Liste (Studer 2016; Valentini 2014). Insgesamt waren die seltenen, gefährdeten oder hoch spezialisierten Moosarten in den BFF jedoch nicht häufig anzutreffen. In dreijährigen oder älteren BFF wurden die Ackermoose ausserdem von Streu und dichter Vegetation verdrängt. Andererseits zeigten wir, dass die Sporen und/oder vegetativen Verbreitungseinheiten vieler Ackermoosarten im Boden von Äckern und BFF langfristig überdauern, und unter günstigen Bedingungen die Ackeroberfläche rasch wieder besiedeln können (Bisang et al. 2020).


Abb. 3. Stoppelfelder, die bis mindestens Ende Oktober stehen gelassen werden, sind bevorzugte, aber selten gewordene Habitate für Ackermoos-Spezialisten.

 

Massnahmen zur Förderung der Ackermoose

Um Hornmoose und andere typische Ackermoose im Mittelland längerfristig zu erhalten, empfehlen wir zielgerichtete Änderungen von ÖLN-Vorlagen, die in Bewirtschaftungsverträgen umgesetzt werden sollen. Wir beschreiben und begründen diese Massnahmen, die auch Wildblumen, Brutvögel und spezialisierte Nützlingsinsekten des Ackerlandes begünstigen, ausführlich im Schlussbericht (siehe unten).

In Kürze empfehlen wir für ausgewählte Ackermoos-Förderflächen:

    • Später Zeitpunkt des Umbruchs (nicht vor Ende Oktober)
    • Erhöhter Getreideanteil in der Fruchtfolge
    • Stoppelfelder ohne mechanische oder chemische Bearbeitung bis Ende Oktober oder Frühling stehen lassen
    • Förderung und Optimierung von kurzlebigen Biodiversitätsförderflächen im Ackerbau (z.B. Ackerschonstreifen, Blühstreifen)

Der Schlussbericht an das BAFU:
Bisang I., Lienhard L. & Bergamini A. 2019 Entwicklung von Ackermoospopulationen und ihren Lebensräumen im Schweizer Mittelland während 28 Jahren von 1991 bis 2018. kann bei irene.bisang[at]nrm.se oder ariel.bergamini[at]wsl.ch angefordert werden.

Zitierte und weiterführende Literatur: hier herunterladen.

Impressum Januar 2022
Wir danken dem BAFU für die wiederholte finanzielle Unterstützung des “Hornmoos-Monitorings”, Maya Valentina und Lisa Studer für die Daten aus ihren Masterarbeiten (ETH Zürich), Katja Jacot Amman (Agroscope) und weiteren KollegInnen für Beiträge und den Landwirten, die uns gestatteten, die Untersuchungen auf ihren Äckern durchzuführen.

Adressen der Mitarbeitenden
¹Naturhistoriska riksmuseet, Box 50007, SE-104 05 Stockholm, Sverige, irene.bisang[at]nrm.se;
² Natur&Geschichte, Waldrain 16, 2503 Biel, luc.lienhard[at]bluewin.ch
³ WSL, FE Biodiversität & Naturschutzbiologie, Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf, *ariel.bergamini[at]wsl.ch

Fotos: Irene Bisang; Lars Hedenäs

 
© Bryolich17.06.2017 - Member of the Swiss Academy of Sciences SCNAT